Von Interessenpolitik bis zum selbstbestimmten Handeln

Wie bereits im Einstieg in diesen Blog-Themenbereich festgestellt, hat es den Anschein, dass Beteiligungsprozesse im Vorfeld von Entscheidungen immer wichtiger werden. Dennoch werden teilweise unter Beteilgung ganz verschiedene Begrifflichkeiten verstanden, die zum Teil nur scheinbar die Belange der Teilnehmerinnen und Teilnehmer berücksichtigt. In diesem Artikel möchte ich deshalb das sogenannte Stufen-Modell von Wright, Block und Unger vorstellen, dass einen Überblick über die verschiedenen Grade der Einbindung von Menschen in Entscheidungprozesse gibt. Diese Erläuterung hat zwei Adressaten.

Auf der einen Seite alljene, die derartige Prozesse organisieren. Zum einen, damit sie für sich selbst besser klären können, wie stark sie andere tatsächlich in Entscheidungsfindungen einbinden möchten und sie zum anderen besser in der Lage sind, zu kommunizieren, wie tief die Einbindung gehen soll. Häufig werden im Vorfeld von Beteiligungsprozessen Erwartungen geweckt, die gar nicht indentiert waren. Die Beteiligten fühlen sich dann missverstanden, schlimmsten Falls hintergangen und auch die intendierte Beteiligung missglückt. Die Veranstalter der Beteiligungsformate sind entmutig und fühlen sich möglicherweise in ihrem Vorurteil bestätigt, Beteiligungsprozesse würden nicht die erhofften Resultate bringen, weshalb sie verlorene Liebesmüh seien.

Auf der anderen Seite richtet sich der Artikel an alljene, die aufgefordert sind, an Beteiligungsformaten teilzunehmen. Mit dem Stufen-Modell sind sie besser in der Lage zu verstehen, in welcher Form ihr Engagement überhaupt gewünscht ist und welchen Grad der Beteiligung sie für sich einfordern müssen, damit der Prozess auch für sie selbst zum Erfolg wird. Jede*r Aktive wird sehr schnell enttäuscht sein, wenn er oder sie mit falschen Erwartungen in einen Beteiligungsprozess geht und die gewünschte Form der Einbindung nicht erfolgt.

Oftmals kann es, wenn Beteiligung tatsächlich von beiden Seiten erwünscht ist, notwendig sein, dem eigentlichen Beteilungsprozess eine Klärungsphase voranzustellen, bei dem diejenigen, die das Verfahren anstoßen, und jene, die daran teilnehmen wollen oder eben auch sollen, darüber verhandeln, wie weit die Beteiligung eigentlich gehen soll. Und auch wenn keine Einigkeit erzielt werden kann, ist die Transparenz über die Verfahrenstiefe eine wichtige Bedingung dafür, dass sie gelingen kann.

Die Stufen der (Nicht-)Beteiligung

  1. Erste Stufe: Nicht alles, was das Siegel Beteiligung aufgedrückt bekommt, ist auch tatsächlich eine. Manchmal wird die Anwesenheit von Außenstehenden vielmehr dafür benutzt, nur vorzugauckeln, dass es um die Belange eben dieser Außenstehenden ginge. Wright, Block und Unger bezeichnen diese Stufe deshalb als Instrumentalisierung. Die Aussage, die dann oft zu hören ist „Sie waren da, also waren sie eingebunden/haben sie ihre Zustimmung ausgedrückt“. Dieser Trick wird oft für Minderheiten oder Menschen mit geringem Einfluss verwendet. Gerade Personen aus diesem Kreis sollten deshalb besonders wachsam sein, ob ihre Belange wirklich gehört werden, oder ob sie nur instrumentalisiert werden.
  2. Zweite Stufe: Eine weitere Form vermeintlichen Beteiligung, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer stattdessen entmündigt, ist die Anweisung. Entscheidungsträger (häufig mit Fachwissen/Ausbildung) nehmen die Lage der Betroffenen war, und definieren anhand ihres Fachwissens die Probleme der Betroffenen und legen Maßnahmen fest, wie diese zubehen sind. Die Betroffenen werden anschließend angewiesen, die Maßnahmen zu ergreifen oder an ihrer Umsetzung teilzunehmen.
  3. Dritte Stufe: Diese Stufe ist, gerade in politischen Entscheidungsprozessen, noch immer die häufigste Form der „Einbindung“ – die Information. Es wird darüber berichtet, welche Maßnahmen geplant sind. Je nach Maßnahme wird erklärt und begründet, warum etwas getan wird. Im Handlungsfeld der Kommunalpolitik ist es zum Beispiel: Ein Investor plant etwas zu bauen. Dieses Objekt soll mehr Kunden anziehen und so der darbenden Innenstadt wieder auf die Füße helfen. Ob die Maßgabe tatsächlich etwas ist, was den anderen Einzelhändlern hilft, spielt keine Rolle. Ihre Sichtweise wird nur insofern berücksichtigt, wie sie die Akzeptanz des Projektes erhöht.
  4. Vierte Stufe: Diejenigen, die den Prozess anstoßen, interessieren sich für die Sichtweisen der anderen Stakeholder. Die einzelnen Zielgruppen werden angehört, haben jedoch keinen Einfluss darauf, ob und in welchem Umfang ihre Sichtweisen sich in der tatsächlichen Umsetzung des Projektes wiederfinden. Für diejenigen, die den Prozess anstoßen, geht es oft mehr darum, das Feld der Herausforderungen zu erkunden, weniger darum, ob die dann gefundenen Lösungen den Stakeholdern „passen“ oder ihren Bedürfnissen entsprechen, oder nicht.
  5. Fünfte Stufe: Die Entscheidungsträger lassen sich, oft über einen längeren Zeitraum, von ausgewählten Personen aus der Zielgruppe, beraten. Oft sind dies Personen, die den Entscheidungsträgern „gewogen“ sind. Die Beratungen haben jedoch keinen verbindlichen Charakter oder verbindlichen Einfluss auf die Entscheidungen. Ein Beispiel aus der Kommunalpolitik: Die Verwaltung plant in Zusammenarbeit oder im Auftrag der Stadträte einen größeren Umbau der Innenstadt. Im Vorfeld und auch während des Prozesses lassen sie sich von einer Reihe von Einzelhändlern beraten beziehungsweise fragen von diesen ihre Einschätzungen ab. Der Umbau wird jedoch wie vorher geplant vollzogen, wenn die Entscheidungsträger nicht mit den Einschätzungen der Einzelhändler überereinstimmen.
  6. Sechste Stufe: Entscheidungsträger halten Rücksprache mit Vertreter*innen aus der Zielgruppe, um bestimmte Sachverhalte abzustimmen. Hierbei kann es auch zu Verhandlungen zwischen den Entscheidungsträgern und der Zielgruppe kommen. Die Vertreter*innen haben ein Mitsprachrecht, aber keine alleinige Entscheidungsbefugnis. Ein gängiges Beispiel hierfür ist die Mitgliedschaft in einer Steuerungsgruppe. Bei einem Projekt zur Neugestaltung eines bestimmten Areals werden Vertreter des örtlichen Naturschutzverbundes in die Steuerungsgruppe eingebunden, um bei der Umgestaltung auch etwas für den Schutz von Bienen zu erreichen. Ein Veto, etwa bei der Auswahl der zu pflanzenden Bäume und Sträucher, hat dieses Steuerungsgruppenmitglied jedoch nicht.
  7. Siebte Stufe: Derjenge, der den Prozess initiiert hat, überträgt einen Teil der Entscheidungsmacht auf andere. Ein Beispiel aus der Kommunalpolitik ist hier, dass Kinder- und Jugendliche aus der Nachbarschaft bei der Einrichtung eines Spielplatzes darüber entscheiden dürfen, ob ein Fußball- oder ein Basketballfeld eingerichtet werden soll.
  8. Achte Stufe: Die Akteure entscheiden alle wesentlichen Punkte innerhalb eines von Verwaltung und Kommunalpolitiker*innen vorgebenen Rahmens selbst. Verwaltung oder kommunale Politiker*innen unterstützen den Prozess, sind Ansprechpartner in rechtlichen und Verfahrensfragen, eventuell moderieren sie den Prozess auch, die Entscheidungen liegen aber bei den Akteuren. Eines der wenigen Beispiele, die diese Stufe noch am ehesten widerspiegeln, waren die Lokale Agenda 21-Gruppen, bei denen Bürgerinnen und Bürger selbstständig etwas für ihre Kommune unternommen haben. Häufig gab es aus der Verwaltung eine Person, die bei Fragen unterstützt hat.
  9. Neunte Stufe: Die Akteuere entscheiden nicht nur innerhalb eines bestimmten Rahmens selbst, sondern entscheiden auch darüber, worüber sie entscheiden wollen. Die Verwaltung beziehungsweise die Kommunalpolitiker*innen beschränken sich darauf, finanzielle Unterstützung oder Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen.

Ausblick und mögliche Konfliktpunkte

Auch wenn eine möglichst umfassende Selbstverwaltung der Bürger*innen im Sinne einer emanzipatorischen Grundhaltung zu begrüßen und zu fördern ist, gibt es jedoch einige Konflikte, die einer Realisierung insbesondere der achten oder gar der neunten Stufe entgegenstehen. Am fundamentalsten ist die Spannung zwischen demokratisch gewählten Kommunalpolitiker*innen auf der einen und den nur durch eigene Betroffenheit legimierten Bürger*innen. Von Bedeutung ist hier vor allem die Tragweite der Entscheidung. Während die genaue Ausgestaltung eines Spielplatzes noch eine recht geringe Tragweite für die Gesamtstadt hat (wobei auch hier die Rechte von Minderheiten, wie beispielsweise Behinderten, beachtet werden müssen), sieht es beispielsweise bei der Neuplanung der Innenstadt anders aus. Insbesondere aufgrund der Vielzahl an Betroffenen und deren unterschiedlichen Interessen ist ein sehr hoher Grad an Beteiligung bis hin zur Selbstentscheidung der Bürgerinnen und Bürger schwierig. Gerade marginalisierte Gruppen, also jene, die sich aus unterschiedlichen Gründen nicht so viel Gehör verschaffen können, drohen bei einer derart umfangreichen Selbstbestimmung noch stärker benachteiligt werden. Zumindest dem Ideal nach sollen die gewählten Ratsmitglieder hier ausgleichend wirken und die Stimmen der Marginalisierten in dem Entscheidungsprozess gleichwertig berücksichtigen. Zugleich kann jedoch auch einiges dafür getan werden, dass die Marginalisierten „ent-marginalisiert“ werden und mit Unterstützung dazu gebracht werden, ihre Interessen doch selbst zu artikulieren (und so die Stufe 2 zu überwinden). Dennoch muss auch bei derart großen Projekten nicht alles von der Verwaltung und den gewählten Vertreter*innen bestimmt werden. Ihnen obliegt die grundsätzliche Rahmensetzung und die Berücksichtigung der Marginalsierten in dem Prozess. Die Entscheidungen in vielen kleinere Teilprozessen, beispielsweise ob man sich eher für eine Weinbar oder eine Musikkneipe im neugestalteten Viertel einsetzen soll, kann jedoch auf die Stakeholder übertragen werden. Wichtig ist auf jeden Fall stets die Transparenz in den jeweiligen Prozessen und eine Offenlegung, warum in bestimmten Entscheidungsprozessen Beteiligung nur als Mitbestimmung oder gar als Einbeziehung stattfindet. Einen Ausstausch auf geringerer Stufe sollten sich Bürgerinnen und Bürger jedoch nur in Ausnahmefällen, beispielsweise bei einer wirtschaftlichen Entscheidung eines Investors bei kleineren Projekten „bieten lassen“. Auch Stadträte sollten häufiger schon früh Beteiligung suchen und sogennante „projektbezogene Bebauungspläne“, bei denen ein Investor kommt und die Planung nur auf dieses Projekt abzielt, nur in geringem Ausmaße zur Basis ihres Handelns machen.